Interview mit Ian Rankin zum Erscheinen von »Ein reines Gewissen«

von Elke Kreil

2007 hatten Sie Ihren Serienhelden DI John Rebus nach 17 Romanen in den Ruhestand verabschiedet. Die Trennung schien Ihnen leicht zu fallen. Sie beschäftigten sich sofort mit neuen Projekten und schrieben zwei weitere Romane, die losgelöst von der Rebus-Serie für sich stehen. Ihr neuer Roman „Ein reines Gewissen“ jedoch dreht sich wieder um einen Inspektor bei der Polizei von Edinburgh, um Malcolm Fox, der im Bereich „Interne Ermittlungen“ Korruption und Machtmissbrauch innerhalb der Polizei nachspürt. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Ich wollte einen Roman über die jüngste Finanzkrise schreiben. Edinburgh ist eine Stadt, die von Branchen wie dem Bank- und Versicherungswesen lebt. Manchen Kommentatoren zufolge hängen zwanzig Prozent der Arbeitsplätze in der Stadt davon ab. Als nun die Royal Bank of Scotland (mit ihrer neuen Nobelzentrale in Edinburgh) in Schwierigkeiten geriet, war in der Stadt der Teufel los. Der Chef der Royal Bank musste außer Landes gehen, nachdem man sein Haus und sein Auto angegriffen hatte. Viele Bauprojekte in der Stadt mussten auf Eis gelegt werden. Ich habe mir das alles angeschaut und wollte darüber schreiben … und der Krimi erschien mir dafür genau das Richtige. Damals hatte ich mich gerade mit einem Polizisten unterhalten, der eine Zeit lang in der Abteilung „Interne Ermittlungen“ (The Complaints) gearbeitet hatte; mich interessierte, was für ein Mensch man sein musste, um mehr oder minder als „Spion“ gegen seine eigenen Kollegen und Kolleginnen bei der Polizei zu ermitteln. So entstand „Ein reines Gewissen“.

Mit DI John Rebus hat Sie eine Art Hassliebe verbunden. Er ist ein störrischer, zynischer Einzelgänger, der nicht davor zurückschreckt, sich mit seinen Vorgesetzten anzulegen. Malcolm Fox wirkt im Vergleich dazu angepasst, er arbeitet gern im Team und wird von seinen Kollegen geschätzt. Er übernimmt Verantwortung für seinen Vater, der im Pflegeheim lebt, und sorgt sich um seine Schwester Jude, die von ihrem Lebensgefährten misshandelt wird. Wie haben sich diese Charakterzüge von Fox für Sie herausgebildet?

Ich wusste, dass Fox, um in der Inneren zu arbeiten, ein ganz anderer Typ sein musste als Rebus. Der ist ein Elefant im Porzellanladen, er handelt instinktiv, befolgt keine Regeln, arbeitet allein am besten. Fox musste anders sein, sonst würde er in dem Job nicht bestehen. Da mir gleichzeitig bewusst war, dass die Leser nicht das Gefühl haben durften, Fox sei nur ein verkleideter Rebus, machte ich aus ihm jemanden, der nicht trinkt und nicht raucht. Rebus war unglaublich zynisch, was bedeutete, dass er wenig Zeit für Freunde und Familie hatte und im übrigen auch an Edinburgh nichts Positives sehen konnte. Fox dagegen erlaubt mir, gerade diese Themen näher zu beleuchten. Fox pflegt den Kontakt zu seiner Familie und genießt es, Freunde zu haben; Edinburgh ist für ihn eine schöne, kulturell reizvolle Stadt und nicht nur eine Ansammlung von Tatorten.

Malcolm Fox trinkt keinen Tropfen Alkohol, hört, wenn überhaupt, klassische Musik oder den Birdsong Channel, und neigt, obwohl er als geschiedener Mann ungebunden ist, im Liebesleben nicht gerade zu Eskapaden. Können Sie uns etwas über den Malcolm Fox hinter dieser korrekten Fassade erzählen?

Allzu viel kann ich Ihnen über Fox gar nicht sagen … ich fange ja gerade erst an ihn kennen zu lernen. Wenn Sie sich die frühen Rebus-Bücher anschauen, werden Sie sehen, wie Rebus’ Charakter sich entwickelt und immer mehr an Profil gewinnt. Da ich über Fox erst ein Buch geschrieben habe, sind viele Aspekte seiner Persönlichkeit mir noch verborgen. Sie müssen freigelegt und mit Leben erfüllt werden.

Fox wird beauftragt, den jungen Polizisten Jamie Breck ins Visier zu nehmen, der mutmaßlich einem Online-Pädophilenring angehört. Doch wider Erwarten befinden sich beide schnell im selben Boot. Sie werden vom Dienst suspendiert und ermitteln von nun an auf eigene Faust in einem Mordfall. Was fasziniert diese beiden höchst unterschiedlichen Männer aneinander?

Fox interessiert sich für Jamie, weil dieser den draufgängerischen charismatischen Typ verkörpert, der Fox nie sein kann – nicht, wenn er für die Innere arbeiten will. Fox ist immer langsam und gewissenhaft gewesen. Hat sich nie über Regeln hinweggesetzt. Jamie vermittelt ihm einen Eindruck von diesem dynamischeren Leben, interessiert sich seinerseits aber auch für Fox, der so ganz anders zu sein scheint als er selbst: ein methodisch vorgehender, zurückhaltender Teamplayer. Gegensätze sollen sich ja bekanntlich anziehen …

Vordergründig geht es in „Ein reines Gewissen“ um die Aufklärung des Mordes an Vince Faulkner, dem Lebensgefährten von Fox´ Schwester Jude. Durch die enge Bindung an seine Schwester gilt Fox nicht nur als befangen, sondern er gerät überdies selbst in den Kreis der Mordverdächtigen. Zu dieser persönlichen Verwicklung tritt eine vielschichtige politische Dimension: Es geht um Geldwäsche und eine Korruptionsaffäre im Baugewerbe, die ihre Kreise bis ins Innere der Polizei zieht. Wie wichtig ist Ihnen dieser aktuelle politische Bezug?

Anstoß für meine Romane ist immer ein bestimmtes Thema, das ich beleuchten, eine Frage, auf die ich eine Antwort finden will. Ein Beispiel dafür habe ich Ihnen gleich am Anfang gegeben. Den Leserinnen und Lesern scheint es zu gefallen, dass ich in meinen Büchern so viel wie möglich auf die reale Welt zurückgreife. Wenn der G8-Gipfel nach Schottland kommt, schreibe ich darüber, wenn Schottland ein Parlament bekommt, ebenfalls. Dahinter steckt vielleicht die Hoffnung, meine Bücher mögen künftigen Historikern einen Eindruck vom Leben im Schottland des ausgehenden zwanzigsten und beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts vermitteln.

Eine Hauptfigur im Team für „Innere Ermittlungen“ anzusiedeln, wirft besonders heikle und komplexe Fragen auf. Sind Sie mit „Ein reines Gewissen“ bei der Königsdisziplin für einen Kriminalroman angelangt?

Wenn ich weiterhin über die Abteilung Interne Ermittlungen schreiben will, habe ich ein gewisses Problem: Das Spektrum der in Frage kommenden Fälle ist sehr begrenzt (die Innere gegen Polizisten). Für Rebus konnte ich mir jegliches Verbrechen mit beliebig vielen Kriminellen vornehmen, während die Innere grundsätzlich nur gegen Polizisten ermittelt. Allerdings können interne Ermittler auch in anderen Städten eingesetzt werden. Falls es bei der Polizei in Glasgow ein Problem gäbe, könnte ein Team aus Edinburgh dort die Ermittlungen aufnehmen. Ich kann also meinen geographischen Radius erweitern.

Auch in ihrem neuen Roman spielt Edinburgh eine zentrale Rolle. Könnten Sie sich je vorstellen, einen Kriminalroman woanders als in Edinburgh anzusiedeln, oder fasziniert es Sie nach wie vor, am Porträt der Stadt weiterzuschreiben?

Edinburgh, für mich eine faszinierende und vielschichtige Stadt, ist in den meisten meiner Geschichten die Hauptfigur. Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich mit dem Versuch verbracht, aus ihr schlau zu werden – jedes Buch ist ein Teil dieser Bemühung. Ich könnte durchaus über andere Orte schreiben … sobald mir zu Edinburgh nichts mehr einfällt!

Betrachten Sie Malcolm Fox als geeigneten Nachfolger von John Rebus – vielleicht sogar im Duo mit Jamie Breck?

Als ich den ersten Entwurf von „Ein reines Gewissen“ fertig hatte, stand ich vor einem Problem: Ich konnte mich nicht entscheiden, ob Jamie Breck unschuldig war oder nicht. Ich zeigte den Entwurf meiner Frau, die zwei Dinge anmerkte. Sie fand Jamie sympathisch. Und falls er sich als „ein Guter“ entpuppte, würde ich ihn in künftigen Malcolm Fox-Romanen verwenden können.

Als Sie ankündigten, John Rebus im Alter von 60 Jahren in den Ruhestand zu entlassen, brach unter den Lesern ein Sturm der Entrüstung los. Ihre Fans waren so verzweifelt, dass sie sogar den Vorschlag machten, das gesetzliche Rentenalter bei der Polizei auf 65 Jahre anzuheben, damit Rebus weiter ermitteln könnte. Wie haben die Leser auf Malcolm Fox reagiert? Sind mit dem Auftreten von Fox die Rufe nach Rebus verstummt?

Ich war erleichtert, als „Ein reines Gewissen“ in Großbritannien Platz 1 der Bestsellerliste erreichte, denn das bedeutet, dass die Leser auch dann begierig auf meine Bücher sind, wenn Rebus nicht darin vorkommt. Die Publikumsresonanz auf „Ein reines Gewissen“ und die Rezensionen in der Presse waren sehr schmeichelhaft. Den Leuten gefiel das Buch und sie mochten Malcolm Fox. Das ist toll. Aber natürlich fragt man mich auch immer wieder nach Inspector Rebus. Im Augenblick schreibe ich (für einen wohltätigen Zweck) eine Rebus-Kurzgeschichte, und die Fans reagieren begeistert darauf, dass ich mich offensichtlich immer noch mit ihm beschäftige.

In den letzten zwei Jahrzehnten haben Sie jedes Jahr ein Buch geschrieben. 2010 feiern Sie Ihren fünfzigsten Geburtstag und möchten ein Sabbatjahr nehmen. Haben Sie sich für diese Zeit etwas Besonderes vorgenommen?

Mein Sabbatjahr erweist sich inzwischen als ausgesprochen arbeitsreich. Ich bin oft auf Lesereise und besuche viele Festivals. Außerdem arbeite ich an der Filmadaptation eines schottischen Romans aus dem 19. Jahrhundert (Confessions of a Justified Sinner, dt. „Die privaten Memoiren und Bekenntnisse eines gerechtfertigten Sünders“, a. d. Englischen von Hannelore Winter, Reclam 1984) und sowohl „Der Mackenzie-Coup“ als auch „Ein reines Gewissen“ wurden fürs Fernsehen optioniert. Eigentlich hatte ich vorgehabt, die Füße hochzulegen, viel Musik zu hören, jede Menge Bücher zu lesen und über die Zukunft nachzudenken. Dazu wird es aber erst kommen, wenn ich endlich imstande bin, „nein“ zu sagen. Das muss ich unbedingt noch lernen …

Februar 2010. Die Fragen stellte Elke Kreil. Übersetzung der Antworten: Juliane Gräbener-Müller.

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