»Schottland – wie es war und wie es sein wird«
Ian Rankin zu seinem neuen Inspector-Rebus-Roman „Schlafende Hunde“ von Sabine Schmidt
Harte Zeiten für John Rebus:
Ian Rankins Krimiheld muss gegen frühere Kollegen ermitteln; zudem wird Schottland über die Trennung von Großbritannien entscheiden. Rebus ist dagegen, sein Autor von dem Politspektakel vor allem genervt. Der neue spannende Fall über die schottischen Verhältnisse erscheint im Herbst 2014 in deutscher Übersetzung bei Manhattan: "Schlafende Hunde" (OT Saints of the Shadow Bible).
Mr. Rankin, Sie hatten John Rebus schon in den Ruhestand geschickt. In Ihrem letzten Krimi "Mädchengrab" ermittelt er aber wieder, und jetzt auch im neuen 19. Fall: "Schlafende Hunde". Warum haben Sie ihn reaktiviert?
Rebus fesselt mich nach wie vor. Ich bin mir immer noch nicht über alle Aspekte seiner Persönlichkeit und seiner Geschichte im Klaren, kann aber nur mehr über diesen seltsamen Kerl herausfinden, wenn ich über ihn schreibe. Aktivieren konnte ich ihn, weil die Polizei in Schottland das Pensionsalter geändert hat, so dass sich Rebus aus dem Ruhestand heraus wieder bewerben konnte. Das hat er getan, weil Polizeiarbeit sein Leben ist: Er kann und will.
Der Fokus Ihres neuen Krimis liegt auf den 1970er und 1980er Jahren, als Rebus noch sehr jung war. Seine älteren Kollegen taten selbstherrlich, was immer sie für richtig hielten, deckten möglicherweise sogar einen Mörder – und das soll jetzt, Jahrzehnte später, aufgeklärt werden. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Einer der Ausgangspunkte war ein Fall, der in England für viel Aufregung gesorgt hat: Ein Kriminalbeamter brachte einen Mörder dazu, zu gestehen, hielt sich dabei aber nicht an die Gesetze, und der Täter wurde trotz seines Geständnisses nicht verurteilt. Der andere Ausgangspunkt ist, dass ich an vielen Abschiedsfeiern von Polizisten teilgenommen habe, die in Pension gingen, und dabei viele traf, die in Edinburgh in den 1970er und 1980er Jahren Dienst taten. Das hat mich dazu gebracht, über Rebus als jungen Mann nachzudenken. Wie war er, als er Kriminalbeamter wurde? Was hat er erlebt, dass er ein so zynischer und einsamer Polizist wurde, der Regeln und Anweisungen nicht befolgt?
Rebus' alte Polizeitruppe nannte sich "Saints of the Shadow Bible", das ist auch der englische Titel Ihres neuen Krimis. Was bedeutet er?
Die Zeile stammt aus einem Song von Jackie Leven: "The saints of the shadow bible following me / From bar to bar to eternity". In diesem Lied wird der Erzähler von etwas oder jemandem heimgesucht, möglicherweise von Geistern aus seiner Vergangenheit, und er versucht, ihm zu entkommen, indem er trinkt. Das klingt sehr nach Rebus, und es passte perfekt zu der Idee eines Verbrechens, das ihn aus der Vergangenheit heimsucht und vielleicht sogar zerstört. Ich habe aber keine Ahnung, was Jackie mit seinem Song gemeint hat.
Warum sollte es eine Zeile von ihm sein?
Wir waren Freunde und haben sogar ein Album zusammen aufgenommen. Kurz vor einem gemeinsamen Konzert in Belfast wurde er krank und starb bald darauf. Um an ihn zu erinnern, nimmt der Krimi, der unmittelbar nach seinem Tod entstanden ist, mit seinem Titel auf eine falsch verstandene Zeile aus einem von Jackies Songs Bezug: "Standing in Another Man's Grave" (im Song: "Standing in Another Man's Rain"; deutscher Buchtitel: "Mädchengrab"). Das gefiel meinem Verleger, mir gefiel es auch, und so habe ich für den neuen Band wieder nach einer Zeile in Jackies Songs gesucht.
Haben Sie auch seine Musik gehört, als Sie den neuen Krimi geschrieben haben?
Ich höre immer Musik, wenn ich schreibe, aber nur Instrumentalmusik, von Brian Eno und Tangerine Dream oder andere elektronische Musik.
Sie wollten früher selbst mal Rockstar werden –
Ja, wie viele Romanautoren. Am nächsten komme ich diesem Traum, wenn ich über Musik schreibe, deshalb spielt sie für Rebus eine wichtige Rolle. Sein Musikgeschmack erzählt viel über ihn, sein Alter, sein Einzelgängertum. Er tanzt nicht und geht nicht zu Partys. Er mag beschauliche Musik, Leonard Cohen oder Tom Waits, und Musik aus seiner Vergangenheit: die Stones, The Who.
Ihr Lieblingsschurke Cafferty, mit dem Rebus eine Art Hassliebe verbindet, taucht in "Schlafende Hunde" nicht auf, aber Ihre anderen drei Helden: John Rebus, seine langjährige Polizei-Partnerin Siobhan Clarke und Malcolm Fox, den Rebus bis jetzt nicht ausstehen konnte, dem Sie aber zwei eigene Bände gewidmet haben. Warum bringen Sie die drei näher zusammen?
Fox arbeitet als interner Ermittler. Diese Zeit geht demnächst zu Ende, und er wird vermutlich zu normaler Polizeiarbeit zurückkehren – so ist es bei der schottischen Polizei geregelt, daran halte ich mich. Dann wäre er von Kollegen umgeben, die ihn wegen seines bisherigen Jobs nicht mögen oder ihm nicht trauen. Und Clarke ist inzwischen aus Rebus' Schatten herausgetreten und wurde befördert. Ich fand es interessant, beide, Fox und Clarke, auf ihren neuen Wegen zu begleiten und auch Rebus dabei zu haben.
Sie sprechen in Ihrem Krimi das Referendum an, mit dem die Schotten darüber abstimmen, ob sie sich von Großbritannien trennen und unabhängig werden. Warum haben Sie das thematisiert?
Es ist schwierig, in Schottland zu leben und nicht über dieses Referendum nachzudenken! Es scheint das einzige zu sein, womit Politiker und Journalisten sich zurzeit befassen. Viele Schotten sind jetzt schon genervt. Ich auch – aber weil es ein wichtiges Thema unserer Zeit ist, muss es in meinem Krimi vorkommen.
Warum wollen viele Schotten unabhängig von London sein?
Ein Grund ist, dass wir einen anderen Blick auf die Welt als die anderen Bewohner Großbritanniens haben, eine andere Lebensphilosophie, eine andere Einstellung zu sozialer Gerechtigkeit. Es hat auch damit zu tun, dass die Konservative Partei in London an der Regierung ist, die in Schottland, wie alle rechten Parteien, sehr unbeliebt ist. Und dass das riesige, reiche London sich vor allem um seine eigenen Belange kümmert.
Warum wollen die Befürworter der Unabhängigkeit die Queen und das Pfund behalten?
Eigentlich wollten sie das nicht: Sie wollten den Euro haben und die Queen loswerden. Aber diese Optionen sind unpopulär, deshalb haben die Befürworter der Unabhängigkeit sich anders entschieden: gegen den Euro, für die Queen. Es gibt aber auch viele weitere wichtige Fragen. Kann Schottland allein zurechtkommen? Könnten wir bald Mitglied der EU werden? Wie würde sich unsere Beziehung zur NATO ändern? Die Politiker haben viele Fragen bis jetzt nicht beantwortet oder nicht einmal gestellt.
Auch Ihre Krimihelden sind mit dem Referendum konfrontiert. Wie werden Rebus, Clarke und Fox wählen?
Rebus stimmt gegen die Unabhängigkeit, weil er konservativ ist. Das heißt nicht, dass er für die Konservative Partei stimmen würde, aber dass er den Status quo bevorzugt: Er mag die Dinge so, wie sie sind, und hat Angst vor Veränderungen. Clarke stimmt für die Unabhängigkeit. Sie ist jünger und idealistischer und findet die Veränderungspotentiale aufregend. Fox ist vorsichtig: Er trifft nicht gern Entscheidungen, wenn er nicht muss. Er wägt ab, denkt nach, wartet auf Antworten.
Wie werden Sie sich entscheiden?
Ich sage niemandem, wie ich wählen werde, weder jetzt noch bei einer anderen Wahl. Es ist allein meine Entscheidung. Prognosen zufolge wird das Referendum gegen die Unabhängigkeit ausfallen, wenn auch möglicherweise sehr knapp. Das wird die Befürworter hoffen lassen, dass sie sich irgendwann doch noch durchsetzen können.
In "Schlafende Hunde" wird der Justizminister, der ein Vertreter der Unabhängigkeit ist, getötet. Warum haben Sie gerade ihn als Opfer gewählt?
Die aktuelle Regierung in Schottland ist für die Unabhängigkeit, deshalb muss auch der Justizminister dafür sein. Sie sollten nicht so viel hineinlesen: Es ist kein politisches Statement von mir, dass ein Vertreter der Yes-Kampagne stirbt.
Edinburgh und Schottland sind in Ihren Krimis sehr präsent. Hätte ein unabhängiges Schottland Auswirkungen auf sie?
Wahrscheinlich nur wenig. Edinburgh verändert sich sicherlich etwas, wenn es die Hauptstadt einer neuen Nation wird, und das wäre ein Thema meiner Krimis. Aber Rebus wird sich nicht plötzlich ändern, der Alltag geht weiter, und Verbrechen gibt es nach wie vor.
Wo entstehen Ihre Krimis?
"Schlafende Hunde" habe ich überwiegend in Edinburgh geschrieben. Ich habe Zuhause ein großes Büro mit einem alten Computer, einer Stereoanlage, einem Sofa und tausenden CDs und Schallplatten – das ist mein Rückzugsraum. Manchmal fahre ich aber auch 300 Kilometer nördlich in einen abgelegenen schottischen Küstenort, in dem es kein Internet gibt und keinen Handyempfang. Die letzte Version des neuen Krimis ist dort entstanden: So abgeschottet finde ich leichter Zugang zu Rebus' Welt.
Die Fragen stellte Sabine Schmidt, 2014.