Verborgene Muster - Inspector Rebus 1
Originaltitel: Knots and Crosses
Der erste Fall des legendären schottisches Ermittlers!
Eine Mordserie versetzt das eigentlich idyllische Edinburgh in Angst und Schrecken: Zwei Mädchen wurden bereits getötet, und ein drittes ist verschwunden. Detective Seargent John Rebus tappt im Dunkeln. Bis er begreift, dass die seltsamen anonymen Briefe, die er erhält und denen kleine, zusammengeknotete Stricke und aus Streichhölzern gebastelte Kreuze beigelegt sind, ihm den Weg zum Mörder weisen könnten. Doch als er ahnt, was genau sie bedeuten, ist es fast zu spät. Denn plötzlich ist seine eigene Tochter spurlos verschwunden ...
Vorwort zu
„Knots and Crosses (Verborgene Muster)“
Der 19. März 1985 war ein großer Tag für mich. Ich studierte damals an der University of Edinburgh und schrieb an meiner Dissertation über die Romane von Muriel Spark. Ich merkte aber, dass meine Dissertation mich weniger interessierte als meine eigenen schriftstellerischen Versuche. Ich hatte mit Lyrik angefangen und dann einen bescheidenen Erfolg mit Kurzgeschichten gehabt. Ein erster Roman hatte keinen Verleger gefunden, aber mein zweiter war gerade von einem kleinen Edinburgher Verlag namens Polygon angenommen worden. Er trug den Titel „The Flood“, und am 19. März ging ich zu Polygon, um meinen ersten Buchvertrag zu unterschreiben. Ich hielt das Ereignis in meinem Tagebuch fest, doch es trat hinter folgendem Eintrag zurück:
„Es ist passiert. Eine Idee zu einem Roman (Kriminalthriller), die aus einer Situation entstand und sich zu einem ganzen Plot entfaltet hat. Ich habe noch kein Wort geschrieben, aber in meinem Kopf ist schon alles fertig, von Seite eins bis etwa Seite 250.“
Am 22. März saß ich schon an dieser neuen Geschichte, und zwei Tage später notierte ich: „Die Sache braucht einen Arbeitstitel; ich werde sie ‚Knots and Crosses’ (Knoten und Kreuze) nennen.“ Ich erinnere mich noch genau, wie ich in meinem möblierten Zimmer direkt vor dem Gasofen saß und mir das Wortspiel mit „noughts and crosses“ (Nullen und Kreuze, auch als Tic Tac Toe bekannt) durch den Kopf gehen ließ. Im Nachhinein habe ich den Eindruck, dass Rebus als fix und fertige Romanfigur auf die Welt kam, inklusive entfremdeter Ehefrau, Tochter und angeknackster Psyche. Als ich anfing zu schreiben, arbeitete ich an einer elektrischen Schreibmaschine am Tisch vor meinem Fenster. Durch dieses Fenster starrte ich auf das Mietshaus gegenüber und beschloss, dass Rebus genau dort wohnen würde, in der Arden Street 24, Marchmont, Edinburgh, direkt vis-à-vis meiner Bude.
Gegen Ende Oktober hatte ich die zweite Fassung des Romans abgeschlossen: „zweihundertzehn Seiten von zu sechzig Prozent zufrieden stellender Prosa.“ Mittlerweile hatte ich eine Agentin, die ein paar Änderungen vorschlug. Die einschneidendste lief auf eine drastische Kürzung der zentralen Rückblende hinaus. Ich folgte ihrem Rat, wodurch das Buch schlanker und straffer wurde, ohne etwas von seiner Überzeugungskraft einzubüßen.
Knots and Crosses ist ein ganz schön böses Buch: Es handelt von einem Serienmörder, der Kinder als seine Opfer auswählt. Ich sah es wohl als modernes Remake von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Ich hatte Stevensons Meisterwerk während meines Promotionsstudiums gelesen und fand es bemerkenswert, dass der Autor London als Schauplatz für seine Erzählung gewählt hatte. Denn eigentlich ist Jekyll und Hyde eine durch und durch schottische Geschichte, basiert sie doch wenigstens teilweise auf der historischen Gestalt des Edinburgher Diakons William Brodie, der tagsüber den Gentleman gab und nachts als Verbrecher die Stadt unsicher machte.
Damals interessierte ich mich nicht für Krimis und hatte entsprechend wenig Ahnung von Polizeiarbeit. Ebenso wenig ahnte ich, dass Knots das erste Buch einer Serie werden würde. Das erlaubte mir, munter draufloszudichten und Rebus eine komplexe Vorgeschichte zu geben sowie einen Namen, der nur einer von vielen privaten Witzen in dem Roman ist (Rebus ist der Begriff für ein Bilderrätsel). Als ich das Buch jetzt wieder gelesen habe, hat mir die Fülle mehr oder weniger subtiler und um die Ecke gedachter literarischer Anspielungen (einschließlich kleiner Verbeugungen Richtung Spark, Mailer, Anthony Burgess und Thomas Pynchon) die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Rebus selbst ist für einen Detective viel zu belesen, zitiert Shakespeare und schwärmt für Dostojewski. Er denkt eher wie der schriftstellernde Student, der ihn erschuf, nicht wie ein wirklicher Bulle. Der Himmel wird als „düster wie eine Wagner-Oper“ beschrieben, während die Formulierung „the manumission of dreams“ mich nun zum Wörterbuch greifen ließ. Ich vermute, dass ich 1985 das schicke Wort gerade gelernt hatte und unbedingt damit angeben wollte. Ich war ein sprachverliebter Jungautor, der eine eigene Stimme suchte und gelegentlich ein bisschen zu hoch griff.
Die Geschichte spielt 1985. Damals waren die meisten Geschäfte auf der Princes Street sonntags geschlossen. Auf der Lothian Road gab es ein ABC Cinema (mittlerweile ein Odeon) und an Tollcross „Mr. Bonis Eiscafé“ (mittlerweile eingegangen). Es gab Fernschreiber, aber ein Handy hatte noch niemand. Und wenn Rebus in eine Bar wollte, dann entschied er sich meist für eine, die Whisky noch in quarter-gill-Portionen (knapp 3 cl) ausschenkte. Inzwischen sind diese Maßeinheiten ausnahmslos ihren kleineren metrischen Entsprechungen gewichen. Schon jetzt liest sich Knots and Crosses wie ein historisches Dokument. Entstehungsort und Schauplatz des Romans sind ein Edinburgh, das es nicht mehr gibt. Und was Rebus selbst anbelangt – nun, er hat sich mit der Zeit ebenfalls geändert. Hier, bei seinem ersten Auftritt, hört er hauptsächlich Jazz und benutzt dazu ein Kassettendeck von Nakamichi (wahrscheinlich dasselbe, das mir meine Freundin Miranda geschenkt hatte). Später würde ich seine musikalischen Vorlieben Richtung Rock verschieben. Und obwohl ich ihn in keinem der Romane wirklich äußerlich beschrieben habe, erfahren wir hier, dass er braunes Haar und grüne Augen hat (genau wie ich). Er sollte mir auch als möglicher Verdächtiger dienen, daher ist er ein so zerrissener Mensch, der unter mysteriösen Flashbacks leidet und in seiner Wohnung ein überzähliges Schlafzimmer hat, das immer verschlossen bleibt.
Manche der Nebenfiguren aus Knots sollten mir auch in späteren Büchern von Nutzen sein. Der Journalist Jim Stevens würde in einem Nicht-Rebus-Roman eine Rolle spielen (Watchman, dt. Titel: Der diskrete Mr. Flint), bevor er erneut in der Reihe auftaucht. Rebus’ Bruder würde wiederkehren, ebenso Rebus’ Kollege Jack Morton. Auch Gill Templer ist noch immer da, und ihre Beziehung zu Rebus ist selbst nach all den Jahren von den Ereignissen in diesem ersten Roman geprägt. In späteren Büchern lasse ich Rebus in real existierenden Polizeiwachen arbeiten und in echten Pubs trinken. Aber das Edinburgh von Knots ist eher fiktiver Natur: Rebus’ Wache befindet sich in einer erfundenen Straße, und Lokale wie das Sutherland gibt es ausschließlich in meiner Phantasie.
Noch eine Anmerkung zu Rebus: Am Ende stirbt er. Natürlich nicht im fertigen Buch, aber in meinem ursprünglichen Entwurf. Hätte ich daran festgehalten, wer weiß, was ich heute täte. Der Showdown des Romans findet in einem System von Tunneln unter der Central Library an der George IV Bridge statt. Ich weiß nicht, ob es da tatsächlich Tunnels gibt. Unter der National Library direkt gegenüber gibt es auf jeden Fall welche. Als Studenten haben wir sie sogar bei einer Führung besichtigt – und wie Muriel Spark sagt: Es gibt nichts, was ein Schriftsteller nicht früher oder später verwerten könnte.
Da ich keine Ahnung hatte, wie die Polizei in Mordfällen ermittelte, tat ich, was jeder gute Doktorand tun sollte: Ich recherchierte. Ich schrieb dem Chief Constable, der sich prompt meiner erbarmte und mich an die Polizeiwache Leith verwies. Dort beantworteten zwei argwöhnische Detectives meine Fragen und nahmen meinen Namen zu den Akten für den Fall, dass meine Neugier in Wahrheit ganz anderen, dunkleren Motiven entsprang. In Dufflecoat und Springerstiefeln, einen meterlangen Schal um den Hals, entsprach ich wahrscheinlich nicht gerade ihrer Vorstellung von einem Schriftsteller. Und wenn ich so in den Spiegel schaue, kann ich ihnen das heute noch nachfühlen ...
Knots erschien schließlich in London bei Bodley Head (ein Verlag, der mittlerweile nicht mehr existiert) auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem ich die Idee zu dem Buch hatte: am 19. März 1987. Das Umschlagbild zeigte ein Spiel „Nullen und Kreuze“, bei dem die Nullen durch geknotete Schnurstücke und die Kreuze durch gekreuzte Streichhölzer dargestellt waren. Über das Autorenfoto breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Mittlerweile war ich verheiratet, wohnte in London und arbeitete an der Middlesex Polytechnic. Am 19. März ging ich wie jeden Tag zur Arbeit und fand in keiner einzigen Tageszeitung eine Rezension meines Werkes. Achtundvierzig Stunden später fuhr ich zu einem mehrwöchigen Schriftsteller-Retreat nach Edinburgh. Das Buch schien kein großes Aufsehen zu erregen. Die Absatzzahlen waren und blieben kümmerlich, die Besprechungen spärlich. Ich schrieb in mein Tagebuch: „Knots hat weniger Beachtung gefunden als Flood.“ Das war’s also mit meiner Karriere als Krimiautor. Mittlerweile arbeitete ich an einem Spionageroman, der in London spielte und „Watchman“ heißen sollte, und sah mich schon als den nächsten Le Carré. Was mich betraf, war Rebus abgehakt.
Aber das sollte sich noch ändern.
Ian Rankin
Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini