Die Sünden der Väter - Inspector Rebus 9
Originaltitel: The Hanging Garden
Es sind zwei Fälle, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben: Ein alter Mann wird eines Naziverbrechens bezichtigt, leugnet aber vehement jede Schuld. Und die zur Prostitution gezwungene Candice weigert sich, die Namen ihrer Zuhälter preiszugeben. Noch bevor Inspector John Rebus erste Beweise sammeln kann, überschlagen sich die Ereignisse: Der alte Mann wird erhängt aufgefunden, Candice entführt und Rebus Tochter Sammy liegt nach einem offenbar gezielt verursachten Unfall im Koma. Die Fäden scheinen beim Unterweltneuling Tommy Telford zusammenzulaufen – und Rebus sinnt auf persönliche Rache …
Vorwort zu
„The Hanging Garden (Die Sünden der Väter)“
Nach sechs Jahren in Frankreich zog ich im Herbst 1996 mit meiner Familie zurück nach Edinburgh. Zehn Jahre zuvor hatte ich Schottland verlassen, frisch verheiratet und frisch von der Uni. Jetzt kehrte ich als zweifacher Vater und Profischriftsteller zurück. Okay, ich verdiente nicht genug, um die Hypothek für eine Fünfzimmerwohnung abzuzahlen, aber ganz so unsicher wie früher war unsere finanzielle Lage nicht mehr. Ich fühlte mich wie ein richtiger, erwachsener Autor, der im Gewand des Spannungsromans gewichtige moralische Themen behandeln konnte. Akademiker und Feuilletonisten mochten diese literarische Form nicht ernst nehmen, aber ich wusste, dass ein Krimi ebenso viel über die menschliche Natur und den Zustand der Welt aussagen konnte wie jedes andere Genre. Während wir noch auspackten und uns (in unserem auf Rechtsverkehr eingerichteten Peugeot) langsam wieder an den Linksverkehr gewöhnten, war mein jüngstes Projekt schon in vollem Gang. Die Keimzelle dafür war ein Tagesausflug nach Oradour gewesen – ein Dorf, das im wahrsten Sinne des Wortes tot war.
Während meiner sechs Jahre in Frankreich hatte ich immer wieder von dem Ort gehört und wusste, dass er lediglich eine Autostunde von unserem Häuschen in der Dordogne entfernt lag. Die Kinder von Freunden waren mit ihrer ganzen Klasse dort gewesen, aber ich hatte mich nie zu einem Besuch aufraffen können. Dann erinnerte ich mich an London. Bevor wir nach Frankreich zogen, hatten wir vier Jahre lang dort gelebt. Nach unserer Abreise hatte ich häufig mit Bedauern an all die Dinge gedacht, die ich nicht gemacht, all die Sehenswürdigkeiten, die ich aus purer Faulheit nicht besichtigt hatte. Als unsere Zeit in Frankreich sich dem Ende zuneigte, fuhr ich also, um diesen Fehler nicht zu wiederholen, nach Oradour.
Und war sprachlos.
Das Dorf war zum Andenken an die Opfer seit dem Krieg unverändert geblieben. Keiner weiß genau, wie viele Menschen dort an jenem Tag starben, als die 3. Kompanie des SS-Panzerregiments „Der Führer“ einmarschierte und die Einwohner zusammentrieb. Nicht viel weniger als tausend, nimmt man allgemein an. Die Leichen wurden verbrannt oder in Brunnen geworfen. Männer, Frauen, Kinder: Kaum jemand entkam dem Massaker. Während ich unter dem düsteren Himmel die Straßen des Ortes entlangging, durch Fenster in Küchen und Wohnzimmer spähte, an ausgebrannten Autos und dem verrosteten Gerippe einer Straßenbahn vorbeikam, fing es an zu regnen. Ich stellte mich in der Kirche unter, aber die hatte kein Dach mehr – die Nazis hatten es in Brand gesteckt. Ich stellte mich dicht an eine Wand und sah mit einem Mal, dass der Verputz mit Einschusslöchern übersät war. Hier hatte man die Frauen hingeschafft, bevor man ein Maschinengewehr auf sie richtete. Ich ging in das kleine Museum mit seinen unscheinbaren Exponaten: Haarbürsten, Brillen ... Erinnerungen an die Toten.
Aber was mich an Oradour am meisten mitnahm, war die Tatsache, dass der Verantwortliche – der General, der das Massaker angeordnet hatte – zwar von den Alliierten gefangen genommen, später aber nach Deutschland zurückgeschickt worden war, wo er den Rest seines Lebens in Frieden und Wohlstand verbringen durfte. War das etwa Gerechtigkeit? Bestimmt hatte es dafür Gründe gegeben – gab es die nicht immer? Gründe, die hier wahrscheinlich mit Politik, Diplomatie, geheimen Deals und dem Austausch brisanter Informationen zu tun hatten. Ich fing an zu recherchieren und stieß dabei auf ein Netzwerk, das als „Rattenlinie“ bezeichnet wurde (mehr davon in diesem Roman). Ich stellte außerdem mit Verwunderung fest, dass man offenbar nichts aus der Vergangenheit gelernt hatte. Zurzeit waren vergleichbare Gräueltaten im ehemaligen Jugoslawien an der Tagesordnung. Die Verantwortlichen, die Männer, die die Befehle gaben, waren im Westen durchaus bekannt – wir sahen jeden Abend im Fernsehen, wie sie ihrem Metzgergeschäft nachgingen.
Dieses Gefühl der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ lieferte die Grundlage für The Hanging Garden. Der größte Teil des Buches entstand in Frankreich, aber als ich wieder in Edinburgh war, wusste ich, dass ich noch ein paar abschließende Recherchen zum Thema Kriegsverbrecher und unserem Umgang mit ihnen anstellen musste. Also ging ich in die National Library an der George IV Bridge – eine Bibliothek, die ich seit meiner Studentenzeit, als ich meine ersten beiden Romane geschrieben hatte, gut kannte – und wurde prompt fündig.
Nachdem ich bereits vor Monaten beschlossen hatte, über Oradour zu schreiben, hatte ich mir eine Zeitlang etwas ratlos den Kopf gekratzt: Wie konnte ich das von Rebus’ Standpunkt aus tun? Schließlich kam ich auf die Lösung: Rebus würde im Fall eines angeblichen Nazi-Kriegsverbrechers ermitteln, der seit über vierzig Jahren friedlich und unbehelligt in Edinburgh lebte. So konnte ich auch die Frage stellen, inwieweit es statthaft war, alte Männer wegen Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen, die ein halbes Jahrhundert zurücklagen.
Perfekt, dachte ich.
Doch an jenem Tag in der National Library stieß ich auf Informationen über einen echten angeblichen Kriegsverbrecher, der friedlich und unbehelligt in Edinburgh lebte. Man hatte einen Dokumentarfilm über ihn gedreht, und er hatte die Produktionsfirma verklagt. Er war damit zwar nicht durchgekommen, aber eines wusste ich: Ich würde darauf achten müssen, dass er sich in meinem Porträt eines mutmaßlichen Massenmörders nicht wiedererkannte.
Das Buch wurde später mit dem Prix du Roman Policier der Stadt Cognac ausgezeichnet – nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass es mir während meines ganzen Aufenthalts in Frankreich nicht gelungen war, einen französischen Verlag für meine Bücher zu interessieren! Der Roman kroch auch bis in die Randbezirke der britischen Bestsellerlisten und war 1999 der Titel mit den dritthöchsten Verkaufszahlen in Schottland (hinter zwei Harry-Potter-Bänden). Nachdem ich mit Black and Blue einen Kritikererfolg geschafft hatte, schien sich jetzt auch ein gewisser Publikumserfolg abzuzeichnen. Bis zur Hypothek für die Fünfzimmerwohnung konnte es nicht mehr allzu weit sein ...
Da ich mir schon den Titel des Buches von einem Song der Gruppe The Cure ausgeborgt hatte, beschloss ich, auch jedem Teil des Buches ein paar Zeilen daraus als Motto voranzustellen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die Erlaubnis dazu einholen sollte, also wandte ich mich an den Fanclub der Band. Nach einiger Zeit rief mich jemand vom Management der Gruppe an. Er sagte, er hätte die Sache mit Robert besprochen – womit Robert Smith gemeint war, der Frontmann, Komponist und Texter der Gruppe. Robert meinte, das ginge schon klar, aber natürlich würde es mich etwas kosten. Ich atmete tief durch und fragte wie viel.
„Ein paar signierte Exemplare, sobald das Buch erscheint.“
Ich lachte – vor Erleichterung, aber auch weil das zeigte, was für ein Gentleman Mr. Smith war – und akzeptierte sofort. Erst später ging mir auf, dass ich keine Adresse hatte, an die ich die Bücher schicken konnte. Ja, ich kannte nicht einmal den Namen des Mannes, der mich angerufen hatte. Wenn also einer von Ihnen Robert Smith kennt, dann möchte er ihm bitte sagen, dass er sich bei mir melden soll. Hier wartet eine Erstausgabe mit persönlicher Widmung auf ihn. Es würde mich freuen, wenn er das Buch irgendwann zu sehen bekäme, und sei es nur, weil er vielleicht lächeln muss, wenn er sieht, was ich mit ein paar weiteren seiner Songs gemacht habe – vor allem mit „Fascination Street“ und „Mr Pink Eyes“ ...
Ian Rankin
Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini
Pressestimmen
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"Sein wunderbar lakonischer Schreibstil, seine intelligenten Anspielungen, die überraschenden Wendungen und die Vielschichtigkeit seiner Figuren machen die Lektüre zu einem Genuss." Westdeutsche zeitung